Text aus gleichnamigen Katalog von Susanne Schulte

Wenn ich noch einmal lebe, möchte ich eine Blume sein – ohne Seele, aber vollendet schön. Vielleicht werde ich um meiner Sünden willen eine rote Geranie!
Oscar Wilde in einem Brief von 1885 an H.C. Marillier

Das “reine Rot”, von dem bestimmte abstrakte Künstler sprechen, gibt es nicht, wie immer man dessen physischen Kontext auch verändern mag. Jedes Rot ist gebunden an Blut, Glas, Wein, Reiterjagdkappen und tausenderlei andere konkrete Erscheinungsformen. Verhielte es sich anders, hätten wir kein Empfinden für Rot beziehungsweise dessen Bezugsgegenstände, und es wäre als künstlerisches Element unbrauchbar. Robert Motherwell: Beyond the Aesthetic

Die Farbe Rot

nennt Barbara Koch ihre hier dokumentierte Werkgruppe und bekundet damit auch verbal ihre Faszination durchs Rot. Sie stand am Anfang der Bilder des Jahres ‘99, welche aufregende Präsenz, gemalte Farbe, und zugleich Repräsentation, Sprache, sind. Ihr Rot spricht, weil die Farbe als solche schon kulturell kodiert, intersubjektiv mit Bedeutung aufgeladen ist, zum anderen, weil auch wohl das subjektive Innere der Künstlerin, mehr oder weniger, Ausdruck findet in ihr.

Die formale Gestaltung der Bilder verstärkt und präzisiert die semantische Dimension. Das geometrisch-konkrete Schwarzelement, etwa des Eingangsgemäldes Verflechtung, konterkariert die farbige, abstrakt-expressive Fläche, die es schneidet. Die Bilder, die dieser Widerspruch bestimmt, sprechen am meisten, sie nehmen die Bedeutungen der informellen Diagonalen Formationen zum Beispiel auf und malen sie weiter. Am offensten hinsichtlich einer Bedeutung ist Punchingball, das monochrom rote Schlussbild. Doch auch hier will die Künstlerin die bloß reine Farbe nicht: Ein metaphorischer Bildtitel lenkt das Verstehen.

Hochrot verdichtet sich in Punchingball durch übereinander gespachtelte und geschüttete, je verschieden rotfarbene, diffuse Flächen, in schärferen Kratzspuren und winzigen Pigmentflecken zu opakem Rotviolett bis Braunschwarz; zu den Bildrändern und -ecken hin lichtet es sich dagegen sanft oder mit hartem Bruch, rechts oben und unten links, in aquarelliges, duftiges Rosa auf. Vitalität und Aktivität, aggressive, dynamische Energie, Gefahr und Hitze, auch Verbot, gar Blut sind bei diesem Rot zu assoziieren. Die Malerin bietet es mit Relikten von Handschrift nur, nahezu objektiv dar. Im Zentrum steht nicht das Ich, sondern die Kraft der Farbe und die Macht, welche sie auf die Betrachtenden, darunter die Künstlerin im Produktionsprozess selbst, ausübt. Barbara Koch hat vom Rot aus gemalt, ohne weiteren Plan, ihrer Intuition folgend den Zufall genutzt, als Spur Verworfenes integriert. Ihr Rot hat sie er-lebt, sich er-malt in der Meditation der Rotflächen, die sie selbst gemacht und zum fertigen Bild sukzessiv verwandelt hat. Doch im Gemälde selbst ist die Malerin verschwunden. Als individuelles Psychogramm, Expression, ist es kaum lesbar: Dieser Gegenwart gegenüber, kommen die Betrachtenden auf sich selbst zurück. Und in die Reflexion der Frage, ob ihr Rot-Erleben, wie es der Titel beansprucht, subjektiv allgemeingültig, dem Punchingball der Künstlerin entsprechend sei.

Barbara Kochs Rot ist die Farbe der lebendigen, beseelten Materie, des Willens zum Leben, des Leibs. Sie hat Rot zum Licht und zum Dunkel geöffnet. Das Schwarz und das Weiß, rein und in Brechung, doch nie ganz gedeckt, stellt sie ihm in den informellen Bildern wie Diagonale Formation II zur Seite. Rot dominiert die gegensätzlichen Extreme, in Farbigkeit und Gestus sind sie von seiner Dynamik erfasst. Die Malerin hat die Farben mit breitem Pinsel in mehreren Schichten aufgetragen, nass in nass oder auch deckend, mit einem Tuch gewischt und dem Spachtel gekratzt, wieder zerstört, um das Licht der Leinwand zurückzuholen ins Rot. In wildem Gestus, aus der Farbe und dem unwiederbringlichen Moment heraus agierte Barbara Koch. Dass ihre Aktionen tatsächliche körperlich-seelische Erregungen des Augenblicks unmittelbar ins Abbild setzten, dass Unbewusstes ungefiltert hochkam und seine natürliche Form gefunden hat, können wir allerdings nur unterstellen. Doch die Bilder wirken auf uns so abstrakt-surreal ­– was Verabredung unseres Kulturkreises sein mag, denn auch kalkuliert ist das Bild solch einer Bewegtheit wohl zu produzieren. Vom Resultat ist auf den Herstellungsprozess nicht eindeutig zu schließen. Aber die Gemälde erscheinen uns dennoch als mehr denn nur Darstellung und Präsenz der Farbe. Es sind expressive Bilder, in denen Leiblich-Seelisches zum Ausdruck kommt, welches, durchs Rot provoziert, auch das Innere der Künstlerin sein mag.

Die informellen Diagonalen Formationen sind zunächst als gestalthafte Analogien ungezähmter Natur- Formen identifizierbar. Man erkennt etwa lodernde Flammen, einen höllenheißen Lavafall oder aufspritzendes Blut, einen Blutsturz. Dabei bleibt die Lektüre jedoch nicht stehen. Sie deutet die Natur-Bilder als Metaphern von Innerlichkeit vor dem Hintergrund der – in „Punchingball“ nicht zuletzt durch den Titel eindeutiger gemachten – Ambivalenz des unkontrollierten Extremgefühls, das das Rot in unserer Kultur symbolisiert, und der konventionellen Bedeutung der Farben Schwarz und Weiß: Auch bei Barbara Koch ist die Rotenergie ekstatisch lebendig oder destruktiv, leidenschaftlich in Liebe, Hass, Wut, radikal gut oder böse und auch beides zugleich. Denn eins kann sich jeden Moment ins Andere ergießen, sich verkehren in seinen Widerpart. Als Eros strebt Rot ins Weiße, ins unschuldige Licht der Transzendenz; als Sexus fällt es ins Schwarz sündiger Körperlichkeit, bloßer Animalität. Es wühlt die dumpfe Potentialität der (schwarzen) Materie zur Gestaltbildung auf und erdet die reine Formalität des (weißen) Nichts in konkreter Erscheinung. Seine kreative Energie bringt Naturstoff und Geist zusammen, die Natur-Formen der Diagonalen Forma­tion hervor – als wäre das Malen selbst Bild geworden in diesem Bild.

Malen ist Bild als Prozess, welcher der geistig-leiblichen Doppelnatur eines jeden und der spezifischen Rot-Energie des künstlerisch veranlagten Menschen entspringt. Verflechtung, auch die Barrieren schneiden seine Risiken als seine Extreme an: bloße Formlosigkeit und glatte Konstruktion; ungestalt verflochtene, gefräßige Körperlichkeit oder hemmend leere, schwarze Intellektualität. Barbara Koch sitzt dieser Lebensgefahr nicht auf. Ihre Barrieren intensivieren das Naturhafte, Körperlich-See­lische, das sie zugleich in den sicheren Bildhintergrund drängen, durch den Kontrast in Farbe und Form. Und eben dadurch hebt die Verflechtung das Artifizielle hervor, als würde sie das Geistige wie ihr Komplement geradezu fordern. Nicht durch Ausgleich in lauer Mitte, sondern durch prekäre Balance der Extreme ist ästhetische Spannung, ist das Bild erst und menschliches Leben lebendig.

Zu den Bildern der Reihe Die Farbe Rot