Eine Art stille Schönheit

Originaltext aus der Rede von Falco Herlemann, Künstlerzeche Unser Fritz, Herne, 2. Oktober 2010

Der Warteraum hier in der Künstlerzeche steht in einer Reihe von Rauminstallationen mit demselben Titel, mit denen sich Barbara Koch seit einigen Jahren beschäftigt. Sie entwickelt für bestimmte Räume neue Arbeiten, die sie dann in diesen Räumen inszeniert. Mit der Arbeit Warteraum IV knüpft sie an die letzte Installation an. Alle anderen Arbeiten sind für diese Ausstellung entstanden. Warteraum IV zeigt embryonale Gebilde aus Kunststoff, die mit durchsichtigen Schläuchen verbunden sind. Sie bewegen sich in einem rhythmischen Auf und Ab als würden sie atmen. In dem Kasten wirken sie dabei allerdings fast hilflos und zerbrechlich. Sie scheinen künstlich und dennoch lebendig.

Ähnliche Formen finden sich auch in den Bodenobjekten Bottom Flowers – Boden-Blumen. Es sind eher unbestimmte, amorphe Formen aus weißer Wäsche, Unterwäsche genäht. Diese Gebilde erinnern zuweilen an menschliche Figuren. Doch diese Figuren bleiben immer Fragmente. Es sind Figuren, die hier meist in Gruppen den Raum bevölkern und irgendwie zusammengewachsen scheinen. Auch hier ragen Schläuche aus den Formen, die den menschlich anmutenden Formen zugleich etwas Technisches und Künstliches geben. Einige dieser Gebilde entfernen sich allerdings mehr und mehr von der menschlichen Gestalt.

Den Wandarbeiten sieht man ihren Ursprung zunächst nicht an. Es sind farbige mosaikartige Reliefs, einmal als Block gehängt, ein anderes Mal als einzelnes Werk. Bei den kleineren sind die farbigen Elemente mal zufällig über die Bildfläche verteilt, mal bilden sie Muster aus, die sogar mal an Blumen erinnern können. In der großen Arbeit schafft die Künstlerin fast organisch wirkende Spuren, die in breiten, farbigen Linien über die Bildfläche laufen. Doch erst wenn Sie näher an diese Arbeiten herantreten, sehen Sie, dass es sich bei diesen mosaikartigen Elementen um Tabletten handelt. Lab Sweets – Süßigkeiten aus dem Labor. Die gleichen Süßigkeiten finden sich auch in dem Vorhang, durch den Sie vielleicht den Ausstellungsraum betreten haben. Hier sind sie aufgereiht und durch Silikon verbunden.

Die letzte Arbeit besteht aus einem Fernsehsessel, einem Fernseher auf einem typischen Fernsehtisch, daneben eine Stehlampe. Fernseher, Tisch, Lampe und Stuhl scheinen ein wenig aus der Mode gekommen zu sein. In dieser Zusammenstellung ein sehr typisches Bild aus vielen Wohnzimmern: der Rückzug vor der Welt, das Eintauchen in eine künstliche Fernsehwelt. Doch über den Bildschirm laufen sehr reale Bilder. Zu sehen ist ein Video, das Barbara Koch zeigt, wie sie Schränke und Regale leerräumt. Es ist meist Kleidung, die sehr ordentlich aufgestapelt war. Jetzt wird sie eher fast missmutig in blaue Müllsäcke gestopft. Close Distance – nahe Entfernung – heißt die Arbeit. Und schaut man auf das Gesicht der Künstlerin in dem Video, werden Sie vielleicht ihr Unwohlsein bei dieser Aktion bemerken. Hier bemächtigt sich jemand Dinge, die einem nicht gehören, die einem fremd sind. Und zugleich meint man, der frühere Besitzer der Dinge schaut einem über den Rücken.

Hier merkt man, dass die Arbeiten in diesem Warteraum immer einen sehr persönlichen Bezug haben. Der Stuhl war der Stuhl des Vaters der Künstlerin, sein Rückzugsort vor der Welt, sein Eintauchen in die Fernsehwelt. Die Tabletten stammen aus den Vorräten der Eltern der Künstlerin. Die textilen Bodenobjekte sind aus der weißen Unterwäsche der Eltern der Künstlerin genäht. Doch eigentlich bleiben diese persönlichen Bezüge eher unerheblich. Mit diesem Warteraum schafft Barbara Koch Bilder, die jeden etwas angehen – oder angehen können. Für Barbara Koch sind ihre Warteräume, wie sie selbst sagt, eine Möglichkeit innezuhalten. Es sind Orte der Ruhe, zugleich Orte der Beunruhigung. Es sind Orte des Anhaltens und der Reflexion. Für uns als Betrachter ist es ein Ort, in den wir eintauchen können und mit dem wir an unsere eigenen Erfahrungen und Erlebnisse erinnert werden.

Dieser Warteraum wird zu einem Ort der Reflexion über das Älterwerden, über den Tod, über den Verlust von Menschen, aber auch die Möglichkeiten Leben zu verlängern und dem Versuch, Krankheiten zu bekämpfen. Unterstützt wird dies durch den etwas morbiden Charme des Ausstellungsraums.

Insofern stellt sich die Ausstellung einem eher düsteren, fast bedrückenden Thema, das wir alle sicherlich gerne verdrängen oder dem wir uns erst mal verweigern. Barbara Koch gewinnt dieser Seite des Menschen aber – für mich – sehr intensive, beeindruckende Bilder ab. Und die farbigen Arrangements aus den Tabletten oder auch die klinisch weißen Bodenobjekte haben auch etwas von einer gewissen Schönheit.

A Kind of Silent Beauty

Original text from the speech by Falco Herlemann, Künstlerzeche Unser Fritz, Herne, 2th October 2010

The Waiting Room here in the Künstlerzeche is part of a series of installations with the same theme, which Barbara Koch has been creating during the last years. For each room she develops special pieces, which she installs on site. Her work Waiting Room IV ties in with her last installation. All other pieces were made for this exhibition.
Waiting Room IV shows embryo-like shapes made from plastic, which
are connected by translucent tubes. They move in rhythmically up and down as if they were breathing. Being protected in a box, they seem to be helpless and fragile – they appear artificial albeit alive.

The floor objects Bottom Flowers have similar shapes: they are rather undefined, amorphous forms consisting of white laundry, underwear sewn together. These shapes remind us of human figures nevertheless they remain fragments. They inhabit the room in groups and seem to be tangled in a strange way. Here too, tubes stick out of them, giving the sculptures something artificial and technical, while some of them diverge more and more from their human looking form.

At first, the origin of the wall pieces is not obvious. They are colourful tessellated reliefs, sometimes hung as group sometimes hung as individual piece. Looking at the smaller pieces, colourful elements are scattered randomly over the picture surface in other places patterns appear reminding us of flowers. In the large piece the artist creates almost organic looking structures, which run in broad colourful lines over the picture surface. Only if you step up closer to the pieces you realize that these tessellated fragments are tablets. Lab Sweets – sweets from the laboratory. By the way, the same sweets are also part of the curtain through which you entered the exhibition space. Threads of tablets, glued together with silicone, form the curtain.

The last piece consists out of a recliner, a TV on a typical TV table next to a floor lamp. TV, table, lamp and chair seem to be a little old-fashioned. This combination shows a very typical picture of many living rooms: a retreat from the world outside – getting immersed into an artificial media world. Nevertheless, the TV screen reveals very real images. A video shows Barbara Koch emptying wardrobes and shelves. Mostly it is clothing – neatly stacked before – but now being stuffed sullenly into blue trash bags. Close Distance – is the piece’s name. If you have a look at the artist’s face while she is performing in the video you might realize her uneasiness. Here somebody seizes things, which don’t belong to her, which are strange to her. However, at the same time, you get the feeling that the former owner watches her from behind.
Now you realize that all the pieces in this Waiting Room have a very personal aspect. The chair was the chair of the artist’s father, his retreat from the world, his submersion into an artificial television world. The tablets come from Koch parents’ stocks. The textile floor objects are sewn from her parents’ white underwear.

However, these personal aspects are actually irrelevant. With this Waiting Room, Barbara Koch creates images, which could or should be interesting for everybody. For Barbara Koch her Waiting Rooms are, as she says herself, a possibility to pause for a moment. They are quiet places while at the same time being places of alarm. Places to pause and contemplate. We as spectators can immerse ourselves in the space while being reminded of our own personal experiences.

Koch’s Waiting Room becomes a place of reflection about the human aging process, about the death and loss of people but also about the possibility of prolonging life and the never ending endeavour to fight diseases. All these impressions are supported by the somehow morbid charm of the exhibition space.

In this respect, the exhibition takes on a rather gloomy almost depressive topic, which we all doubtlessly try to suppress or which we refuse to deal with at all. For me, Barbara Koch is able to extract very intensive, impressive pictures from this facet of human live. And the colourful arrangements from tablets as well as the clinically white floor objects are beautiful in a very special way.