Ich würde deine Arbeit „Lab Sweets“ in der Kassenärztlichen Vereinigung als Weiterentwicklung bzw. Neuinterpretationen der kleinen Wandobjekte von 2010 begreifen. Bedingt durch den Kontext zu diesem speziellen Bau kommt es, wie der Text von Thomas Loer aus einem Gespräch mit den Mitarbeitern der KVWL offenlegt, seitens der Mitarbeiter zu einigen Assoziationen (vergrößerte organische Mikrostrukturen, Landschaften, männliche Geschlechtsteile, Denkmal für an Krebs verstorbene Kollegen, …) – stört dich das?

Die große Arbeit „Lab Sweets“ ist in erster Linie eine abstrakt-experimentelle, so wie die kleinen Arbeiten auch. Natürlich öffnen die verschiedenförmigen, mehr oder weniger amorphen Elemente, sowie ihre Anordnung in Verbindung mit der Farbe und dem Material eine Reihe von Assoziationen. Das ist ein Konzept, mit dem ich arbeite und es klappt auch nicht immer. In erster Linie handelt es sich um mein eigenes Versuchsfeld, mein Labor der Absurditäten und phantastischen Anordnungen.

Die Arbeit „Lab Sweets“ ist ungewöhnlich groß. War die künstlerische Auseinandersetzung damit für dich ähnlich wie die an den kleinen Wandobjekten oder nimmt dieses Format – abgesehen von der reinen Vergrößerung – auch ästhetisch eine andere Dimension ein? Aus malerischer Sicht betrachtet: wo besteht für dich der Unterschied – auch hinsichtlich des vorbestimmten Raumes, für den die Kunst vorgesehen ist?

Den Platz für die Arbeit habe ich selbst gewählt – ursprünglich war er gar nicht für Kunst vorgesehen. Ich wollte aber eine wirklich große Arbeit machen und dies war der einzige Platz, an dem ich etwas in der Form, die ich mir vorgestellt hatte, verwirklichen konnte. Während des Studiums haben mich die großen Malereien von Barnett Newman stark beeindruckt. Sie hatten für mich etwas Überwältigendes und Erhabenes, eine in sich ruhende Klarheit und Würde. Das große Wandrelief war im Grunde eine wunderbare Möglichkeit, eine der kleineren Versuchsanordnungen zu einer raumgreifenden Arbeit zu entwickeln. Selbst die kleinen Arbeiten beanspruchen viel eigenen Raum. Wenn die kleineren Arbeiten schon durch das Zusammentreffen von eigenwilliger Form und meist starker Leuchtkraft den Blick fokussieren, so hat man bei der großen Arbeit das Gefühl einer Annexion des Raumes durch das Bild. Die Arbeit ist über den Köpfen und löst sich damit von den spielerischen Versuchen im Vorfeld, die sozusagen auf Augenhöhe basieren. Im Gegensatz zu Newmans in sich ruhenden Arbeiten habe ich bei meiner Arbeit ein Gefühl der Unverschämtheit durch die Art, wie sie sich in die Architektur einmischt: Zwar monumental, aber alles andere als würdevoll oder gar idyllisch. Die Skulptur illuminiert den Raum und verändert das Licht, so dass man bei sonnigem Wetter kaum hinschauen kann. Ich wollte auch gar nicht, dass sie sich brav integriert. Das Bild nimmt sich den Raum, ist opulent, schreit, drängt sich auf, polarisiert und wirkt fast ideologisch. Ich habe diese Arbeit, so wie sie hängt, niemals vorher als Ganzes gesehen, schon gar nicht in senkrechter Form und konnte größtenteils nur spekulieren. Letztlich war es ein Experiment und eine Herausforderung auf ganzer Linie. Vergrößerungen von Skizzen – als solche betrachte ich meine kleinen Arbeiten – haben häufig nicht dieselbe Wirkung. Man kann so eine Masse nicht mal eben an die Wand stellen, überprüfen und begutachten. Alles funktioniert zwar nach Plan, aber trotzdem intuitiv. Im Vorfeld hatte ich aber eine digitale Skizze im Maßstab gemacht und sie an eine große Wand im Künstlerhaus Dortmund projiziert. Zudem gab es ein Modell des Foyers, für das ich eine Miniatur der Arbeit gemacht hatte. So hatte ich eine gute Vorstellung davon, wie die Arbeit später ungefähr im Raum wirken würde.

Aus deiner Antwort lese ich, dass es dir bei diesem großen Experiment gar nicht nur um die reine Vergrößerung, die Veränderung der Proportionen geht. Die damit verbundene Wirkung, der Pathos einer raumgreifenden bzw. Raum bestimmenden Arbeit scheint in dir eine ganz neue Energie freizusetzen. Richtig?

Gerade plane ich eine neue Arbeit für ein Projekt im Raum, die nicht weniger groß sein wird. Sie ist jedoch in sich reduzierter und gleichzeitig expressiver, weil einzelne Elemente direkt aus der Wand „wachsen“ sollen. Überzeichnung und Übertreibung sind Teil meiner Arbeit, die Idee eines theatralisch-wuchernden „Wachstums“ im Raum wirkt auf mich faszinierend. Den Tagtraum dazu hatte ich bisweilen schon als Kind. Ein Schlüsselerlebnis war, als mein Bruder und ich einmal einen Raum in unserer Wohnung quer von oben bis unten mittels Haken und mit Wollgarnen verwickelten. Der Gedanke, sich im Chaos zu verlieren oder dieses zu kultivieren, hat etwas Anarchisches, Unkontrollierbares und Abenteuerliches. Ich mag das.

Dieses Format und die Arbeit mit einer bestimmten Situation bzw. bestimmtem Raum sind in deiner Kunst eher Ausbrecher. Könntest du dir vorstellen, hier anzuknüpfen und dich häufiger mit großen, installativen, thematisch gerichteten Projekten zu beschäftigen?

Das mache ich am liebsten. Aber es muss ja auch einen Anlass geben und daneben ist es mitunter eine finanzielle Frage.

Deine Arbeit hat sich von einem eher experimentellen Feld hin zu einer konkreteren und damit auch angreifbareren Ebene entwickelt. Du arbeitest nicht mehr mit amorphen Formen, die dies oder jenes sein können – du bedienst dich nun vorgefertigter Materialien mit eindeutigen Bezügen – ich denke hier an die Tabletten. Die Lab Sweets sind beinahe Ready Trouvées, die sich oft über eine bestimmte, mit dem Gegenstand verbundene Geschichte definieren. Würdest du bestätigen, dass deine Kunst sich in eine Richtung entwickelt, die nun eine klarere soziologische/philosophische Position einnimmt?

Es ist richtig, dass die Arbeit konkreter wird. Im Grunde suche ich seit 2004 neue Möglichkeiten und Formen zu finden, die ausdrücken können, was mich stark beschäftigt. Es ist ein Thema in verschiedenen Variationen. Die Vorstellung von Hilflosigkeit im weitesten Sinne und das Gefühl von Ohnmacht beschäftigen mich. Die alltäglichen Katastrophen und Tragödien, die man kaum bemerkt und die virulent sind. Ich hatte keine glückliche Kindheit. Als ich 7 war, starb meine Mutter, mein Vater war nur physisch da – eine eigenartige und traurige Familiengeschichte, die mein bisheriges Leben bestimmt hat. Ich kenne die Außenseiterposition, so etwas prägt. Als Beobachter kann ich die Dinge neu ordnen, neu inszenieren. Wie bei den Arbeiten der Installation Warteraum V, 2010, als ich nach dem Tod meiner Eltern in ihrem Nachlass auf unzählige Tabletten gestoßen bin. Was kann man mit den Gegenständen, die ihre eigene Geschichte mitbringen, machen und wie geht es weiter? Wir leben mit dem, was übrig bleibt. Ein pragmatischer, aber auch optimistischer Ansatz. Wenn ich hunderte von Tabletten im Schrank meiner Eltern finde und daraus Bilder und Vorhänge mache, führe ich die gesellschaftlich propagierte Wissenschafts- und Konsumgläubigkeit ad absurdum. Wenn ich die Gegenstände oder Kleider eines Toten in Müllsäcke stopfe, offenbart sich mir die Sinnlosigkeit des Strebens nach Besitz. Ich kann die Figurationen der Arbeit Bottom Flowers, 2010, die ich aus der Unterwäsche meiner Eltern gefertigt habe, als Hommage an diese Sinnlosigkeit einsetzen. Eine Inszenierung des Rückzugs aus der Welt, der Hilflosigkeiten, die damit einhergehen und der Vereinnahmung der Personen, die nachher übrig bleiben.

Deine Kunst hat sich in den letzten Jahren sehr entwickelt. Der intellektuelle, künstlerische Umgang mit Materialien und Farben, ein bisweilen auch spielerischer malerischer Prozess, weicht zunehmend dem streng Konzeptuellen und Performativen. Deine Kunst belädt sich mit schweren Themen wie dem Tod und der Kritik an unserer konsum- und/oder medienorientierten Gesellschaft. Wo geht es hin? Oder besteht der Reiz für dich gerade in diesem Gegenüber von Form und Inhaltlichkeit? Die Lab Sweets zeigen immer noch viel Fläche, Farbe, Form, du lässt aber auch gern die Assoziationen zur Krankheit zu.

Beides kann nebeneinander stehen, miteinander arbeiten und Schnittmengen bilden. Ich mag das Sinnliche von Materialität und Farbe, diese künstlerischen Schaffensprozesse im Atelier und die Arbeit im Detail. Es sind die letzten Stücke malerischen Ursprungs in meiner Arbeit, die ich nicht missen möchte. Von daher bin ich nur teilweise der Typ des streng Konzeptuellen, bei dem es meist um die Planung, die Zeichnung und die Anweisung an Dritte geht. Generell sehe ich es jedoch als Bereicherung, meine Arbeit konzeptuell und performativ zu erweitern, wenn es das Thema verlangt. Eigentlich sehe ich zwei Linien in meiner Arbeit. Einerseits denke ich z. B. an die Rauminstallationen der Warteräume, die überwiegend biographisch geprägt und konzeptueller sind. Andererseits haben die Wandobjekte mehr malerisches Potential. Diese Arbeiten sind im Lauf der Zeit immer skulpturaler geworden und bewegen sich ganz langsam von der Wand in den Raum. Für die Zukunft stelle ich mir abstrakte Skulptur- und Raumkonzepte vor, in denen das Chaos krankhafter Prozesse, eigentümlicher Gebilde oder Mikro- und Zellstrukturen wuchert.

Zur Arbeit Lab Sweets 2009